Am Freitag, den 24.11.2023, stellt der stellvertretende Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), Tomi Neckov, die Ergebnisse einer repräsentativen forsa-Umfrage unter mehr als 1.300 Schulleitungen vor, die im September und Oktober befragt wurden.
Der VBE hatte forsa mit dieser beauftragt, um im Rahmen des Deutschen Schulleitungskongresses (DSLK) auf die Situation von Schulleitungen aufmerksam zu machen. Sie fühlen sich am stärksten belastet von steigenden Verwaltungsarbeiten, dem stetig wachsenden Aufgabenspektrum und Entscheidungen der Politik, die nicht mit Blick auf den Schulalltag getroffen werden. Neckov kommentiert: „Es ist ein Fehler, die Expertise aus der Praxis nicht ausreichend in Entscheidungsprozesse einzubinden – oder Entscheidungen gar entgegen der Notwendigkeiten vor Ort zu treffen. Das rächt sich in der Zufriedenheit der Schulleitungen mit der Politik.“ So bewerten die Befragten die Kultusministerien mit der Note 4,3. Das ist der schlechteste Wert seit Beginn der Befragungsreihe im Jahr 2018.
Die größten Herausforderungen an den Schulen sind laut deren Leitungen der Fachkräftemangel, Inklusion und Integration, die Arbeitsbelastung, Gebäude und Ausstattung und die Bürokratie. Stark belastend empfinden 62 Prozent der Befragten die gesellschaftliche Anspruchshaltung, dass Schule alle gesellschaftlichen Probleme lösen soll. Der stellvertretende Bundesvorsitzende stellt fest: „Auch wenn manche das denken: Schule ist kein Reparaturbetrieb. Manche sehnen ein Bildungssystem zurück, von dem wir uns zum Glück längst wegentwickelt haben. Aber uns fehlen die Ressourcen, um den nächsten Schritt zu gehen. Individuelle Förderung wird ohne ausreichend Lehrkräfte und das Zusammenarbeiten in multiprofessionellen Teams und ohne genügend Zeit für Kooperation nicht gelingen.“ Außerdem wünschen sich Schulleitungen mehr Leitungszeit und Anrechnungsstunden, um weitere Personen aus dem Kollegium mit Aufgaben betreuen zu können. Mehr Personal ist der Schlüssel für Verbesserung der Situation: ob in der erweiterten Schulleitung, als administrative Unterstützung oder im multiprofessionellen Team.
Dieses fehlt aber. Der Lehrkräftemangel ist deutlich spürbar. Bezogen auf Schulen, an denen Stellen nicht besetzt werden konnten, gaben 2021 von den Befragten noch 36 Prozent an, unter 5 Prozent ihrer Stellen nicht besetzen zu können. Dieser Anteil sinkt weiter auf 30 Prozent. Dafür steigt in fast gleichem Umfang der Anteil derer, denen an ihren Schulen über 15 Prozent der Lehrkräfte fehlen, nämlich von 16 Prozent in 2021 auf nun 22 Prozent. Neckov interpretiert die Zahlen: „Es gibt Schulen in bestimmten Vierteln oder Regionen, die beliebter sind als andere und vielleicht auch weniger Schwierigkeiten haben, offene Stellen zu besetzen. Und es gibt Schulen, die starke Probleme bei der Besetzung ihrer offenen Stellen haben. Aus meiner Erfahrung behaupte ich: Dort, wo es die größten Herausforderungen gibt, fehlen die meisten Lehrkräfte. Das setzt eine Abwärtsspirale in Gang, die wir schnellstmöglich stoppen müssen.“ Der Weg der Politik: Seiten- und Quereinstieg ermöglichen. Aber: „Statt den Mehrwert einzelner Externer in das Bildungssystem zu bringen, füllen sie nun Lücken in relevantem Ausmaß – teilweise ohne angemessene Vorqualifizierung oder berufsbegleitende Weiterqualifizierung.“ Der Mangel wirkt wie ein Katalysator für diese Entwicklung und so sagen mittlerweile 66 Prozent der Befragten, dass sie an der Schule Personen beschäftigen, die keine Lehramtsqualifikation erworben haben. Diese Zahl hat sich in den letzten fünf Jahren rasant entwickelt und fast verdoppelt.
Der VBE richtet den Deutschen Schulleitungskongress gemeinsam mit FLEET EDUCATION aus. Deren Chief Sales Officer, Florence Fischer, macht auf der Pressekonferenz deutlich: „Wir wissen, dass ca. die Hälfte der Anwesenden ihre Teilnahme und die Reisekosten teilweise oder komplett selbst finanziert. Ich frage mich aber schon, wie Politik erwarten kann, dass Schulleitungen in Fragen der Unterrichts- und Schulentwicklung stets auf dem neuesten Stand sind, wenn sie die Fortbildung dafür ganz oder teilweise aus ihrem Privatbudget bestreiten müssen. Da gilt es, dringend nachzubessern. Trotzdem ehrt es uns, dass wir mit unserem Programm so gut die Erwartungen der Schulleitungen treffen, dass sie dazu bereit sind. Wir sind am Puls der Zeit. Das beweisen wir auch durch unsere kurzfristige Reaktion auf die aktuelle gesellschaftliche Diskussion um Antisemitismus und Islamismus, die längst die Schulhöfe erreicht hat. Wir haben Prof. Dr. Dr. Michel Friedmann zusätzlich als Referenten ins Programm aufgenommen.“
Die beiden Veranstalter verleihen am Abend des Kongresstages erstmalig den DSLK-Schulpreis für nachhaltige Entwicklung, gestiftet von SIGNAL IDUNA, und dotiert mit 50.000 Euro, wobei fünf Schulen prämiert werden und je 10.000 Euro erhalten. Alle ausgewählten Schulen engagieren sich zum Beispiel für Mülltrennung und den sparsamen Umgang mit Ressourcen. Viele haben Schulgärten und legen bei Verpflegung Wert auf Nachhaltigkeitsaspekte. In dieser Broschüre (Sperrfrist 24.11.2023, 17:15 Uhr) finden Sie Vorstellungen der Schulen und Interviews mit den Projektverantwortlichen.
Die Verleihung des Preises war auch Impuls dafür, in der repräsentativen Umfrage von forsa einen Fragenblock zu „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ aufzunehmen. Dieser wurde auf Basis vorangegangener Forschung vom Institut Futur der Freien Universität Berlin entwickelt und ausgewertet.
Der Projektverantwortliche Jorrit Holst kommentiert: „Ob Klimakrise oder soziale Ungleichheiten – nachhaltige Entwicklung ist eine zentrale Herausforderung unserer Zeit. Die repräsentative Befragung von 1.310 Schulleitungen zeigt, dass sich 80 Prozent der Leitungen Nachhaltigkeit als zentrales Handlungsfeld in Schulentwicklung und Unterrichtsgestaltung wünschen. Es wird jedoch auch deutlich, dass es eine erhebliche Lücke gibt zwischen dem Wunsch, Nachhaltigkeit als Kompass für Schulen anzulegen, und der Wirklichkeit. Als Hindernisse werden Zeit- und Personalmangel, fehlende Budgets, Konkurrenz mit anderen Aufgaben, aber auch die starke Prüfungsorientierung gesehen. Um Schulen tatsächlich zu Erfahrungsräumen für Nachhaltige Entwicklung werden zu lassen, bedarf es aus Leitungssicht unter anderem ein deutlich stärkeres Engagement seitens der Bildungsministerien und Schulträger. Aktuelle Studien am Institut Futur der Freien Universität Berlin zeigen, dass ein Fokus auf Nachhaltigkeit in Schule nicht nur von Leitungen, sondern auch von Lernenden und Lehrkräften stark gewünscht wird. Während Nachhaltigkeit und Klimaschutz immer mehr zu wichtigen Zielen werden, mangelt es oft noch an der Umsetzung. Es ist daher elementar, Nachhaltigkeit als Leitperspektive und Standard in allen Programmen und Investitionen in Bildung zu stärken.“