02. Februar 2018

Studie der Bertelmann-Stiftung zu Lehrermangel

VBE wirft Politik schwere Versäumnisse vor

„Die Berechnungen zeigen: Während der Bedarf steigt, kann die Personalplanung nicht einmal im Ansatz mithalten. Bis 2025 werden 105.000 Lehrkräfte an Grundschulen benötigt, es werden aber nur 70.000 Absolventinnen und Absolventen bis dahin ihr Studium abschließen.

Ein Platz von dreien kann also nicht mit pädagogischen Fachkräften besetzt werden. Das ist planerischer Wahnsinn, den die Politik zu verantworten hat. Zugleich ist das ein nicht zu verantwortender Eingriff in die Zukunftschancen der Jugend. Allzu lange wurden die Warnungen der Gewerkschaften von der Politik leichtfertig vom Tisch gewischt und der sich abzeichnende Personalmangel schöngeredet. Es ist ein Armutszeugnis, dass eine Stiftung die Hausaufgaben der Politik machen muss, um zu einer realistischen Lehrerbedarfsprognose zu kommen“, kommentiert Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), die Studie der Bertelsmann-Stiftung zum „Lehrermangel an Grundschulen“. Der VBE hat bereits mehrfach vor der personellen und pädagogischen Misere und wachsender Deprofessionalisierung gewarnt.

In der Studie wird bemängelt, dass keine systematische, personen- oder kohortenbezogene Auswertung der Immatrikulations- und Absolventenzahlen erfolgt. Es wird jedoch angenommen, dass von 8.000 Studierenden lediglich 7.000 tatsächlich einen Abschluss erreichen. „Wir können es uns nicht leisten, 5 von 40 Studierenden zu verlieren. Natürlich gibt es Studierende, die das Fach wechseln oder eine Ausbildung beginnen – aber es gibt eben auch Hindernisse, die wir sehr ernst nehmen müssen“, sagt Beckmann mit Blick auf eine VBE-interne Umfrage unter Lehramtsstudierenden.

Neben positiven Eindrücken und Lob für die Mentorinnen und Mentoren an den Schulen wird berichtet:

„Ich habe in den ersten zwei Semestern oft mit dem Gedanken gespielt, das Studium abzubrechen. Eine stetige Kombination von Fachwissen und Didaktik hätte mir das Studium (gerade in den ersten Semestern) erleichtert.“

„Bekannterweise muss man für Unterrichtsbesuche gelegentlich Kreise eckig machen, [aber] meine Schule tut vieles, um mich dabei zu unterstützen.“

„Trotzdem ist das Referendariat eine ziemlich belastende Zeit für mich, [da] 15 Unterrichtsbesuche bis zur Prüfung Pflicht [sind].“

„Der Vorbereitungsdienst stellte uns durch die permanente Bewertungssituation auf eine harte Nervenprobe.“

„Das Referendariat war strukturell, insbesondere finanziell, eine Herausforderung. Ich musste weiterhin an einer Schule als Vertretungslehrerin arbeiten, um mir das Referendariat überhaupt leisten zu können.“

In der Studie werden unterschiedliche Maßnahmen erwogen, um kurzfristig den Lehrermangel zu beheben. Der VBE-Chef bewertet:

1. Anreize für freiwillige Mehrarbeit setzen

„Das Arbeiten in Teilzeit hat sehr unterschiedliche Gründe. Man muss wissen: Viele Lehrkräfte gehen in Teilzeit, um die hohen Belastungen mit Rücksicht auf die eigene Gesundheit abfedern zu können. Trotzdem ist die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gesamtgesellschaftlich relevant und positiv zu bewerten. Aber die hohe Arbeitsbelastung und die fehlenden Gelingensbedingungen sind riesige Herausforderungen. Die Politik muss verstehen, dass der beste Anreiz für vorübergehende, freiwillige Mehrarbeit ist, attraktive Arbeitsbedingungen zu schaffen. Dafür brauchen Schulen ausreichend Ressourcen und die Unterstützung durch multiprofessionelle Teams.“

2. Ruheständler anwerben

„Nach langen Dienstjahren ist der Ruhestand mehr als verdient. Auf Freiwilligkeit basierend und lediglich in kleinem Stundenumfang kann die Anstellung von Ruheständlern eine zeitlich begrenzte Notlösung sein. Klar ist: Für ein Kollegium können erfahrene Lehrkräfte große Gewinne sein. Aus unserer Berufszufriedenheitsstudie wissen wir aber, dass Lehrkräfte hoch motiviert sind und sich teilweise über die eigene Belastungsgrenze hinaus engagieren. Eine Anstellung von Ruheständlern sollte daher  Hand-in-Hand mit angemessenen Präventionsangeboten gehen. Außerdem gilt es, attraktive Bedingungen für den Zuverdienst zu schaffen, damit sich das Engagement auch monetär auszahlt.“

3. Qualifizierte Seiteneinsteiger einstellen

„Deutschlands Schulen werden dauerhaft auf nicht originär ausgebildetes Personal angewiesen sein. Das Problem: Diese werden nur gering oder nicht vorqualifiziert. ‚Learning by doing‘ ist aber keine geeignete Methode, den hohen pädagogischen Anforderungen gerecht zu werden. Insbesondere Kinder in der Grundschule sind jederzeit auf höchste pädagogische Fähigkeiten der Lehrkräfte angewiesen. Wir erwarten deshalb, dass die Kultusministerkonferenz (KMK) ihre Verantwortung wahrnimmt und dafür sorgt, dass jeder Seiten- und Quereinsteiger pädagogisch vorqualifiziert wird, bevor er vor eine Klasse tritt.“